Öffentliche Meinung ist unsere ‚soziale Haut‘

Veröffentlicht am 28.05.2024 in Aktuelles

Am 23. Mai feierte das Grundgesetz seinen 75. Geburtstag. Das ist der längste Zeitraum, in dem die Bundesrepublik eine demokratische Verfassung hat. Unter diesem Gesichtspunkt fand die Diskussionsrunde Salon Rouge zu dem Thema „75 Jahre Grundgesetz – Wie steht es um unsere Demokratie“ statt. 

Den Impulsvortrag kam von Prof. Dr. Wolfgang Schweiger, Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim (Stuttgart). „Alle modernen Verfassungen lassen sich auf die drei Prinzipien der französischen Revolution zurückführen: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – oder in der deutschen Fassung: Einigkeit und Recht und Freiheit“, so der Experte. Im Detail ging Schweiger auf das Freiheitsrecht ein. Dieses ist in Art 2 des Grundgesetzes definiert. Dazu zählen u.a. Glaubens-, Meinungs-, Informations-, Presse- und Versammlungsfreiheit. 

Insbesondere die Pressefreiheit sei durch ein vielfältiges Medienbild sichtbar, es gebe keine Zensur durch den Staat. Kritik an den Mächtigen sei erlaubt und erwünscht. Wenn Medien Probleme haben, sei der Grund in Zusammenhang mit dem Publikum zu betrachten, das für journalistische Inhalte nicht bereit ist zu bezahlen - und habe wenig mit dem Staat zu tun. „Alles, was die Leute interessiert, ist Flutlicht, Blaulicht und Rotlicht“, zitiert Schweiger einen Lokalchef der StNZ. In den sozialen Medien würden sich die meisten Informationen am schnellsten verbreiten, die emotionalisieren und unwahr sind. „Hier wünscht man sich vielleicht doch mehr staatliche Regulierung“, so der Experte. Ein weiterer Schwerpunkt legte der Kommunikationswissenschaftler auf die Meinungsfreiheit. Deren Existenz werde immer wieder in Frage gestellt. Dabei käme die Bedrohung der Meinungsfreiheit nicht vom Staat, sondern von der Mitte der Gesellschaft bzw. der Ränder. „Die öffentliche Meinung hat eine wesentliche gesellschaftliche Funktion, nämlich die einer ‚sozialen Haut‘“, erklärte Schweiger. Das, was man sagen kann, ohne größere Probleme zu bekommen, sei seit jeher begrenzt.

Die Gefahr für die Menschenrechte komme von antidemokratischen und populistischen Politiker:innen und Parteien. So würden Populisten Teilen der Bevölkerung nach dem Mund reden und instrumentalisieren deren Unwissen und primitiven Instinkte. „Sie propagieren einfache und unrealistische Lösungen, greifen Minderheiten als Sündenböcke an und machen sich über Andersdenkende lustig“, sagte Schweiger. Häufig seine Populisten selbst Teil einer gesellschaftlichen Elite. 

In der anschließenden Diskussionsrunde wurden Fragen zu der Bedeutung von sozialen Medien tiefergehend besprochen. Die Themen „Meinungsfreiheit“ und „Soziale Haut“ waren weitere Diskussionspunkte. „Die ‚soziale Haut‘ richtet sich danach, wer gerade am lautesten die Klappe aufreißt“, wurde Schweiger konkret.

Im zweiten Teil des Salon Rouges berichtete Florian Nägele über seine Arbeit als Streetworker. Er ist seit 16 Jahren in Friedrichshafen aktiv. Dabei erzählte er davon, dass es in Friedrichshafen rund 30 rechtsextreme Skinheads gab. Es habe bis heute Bestand, dass Streetworker die Menschen an die Hand nehmen. Von den persönlichen emotionalen Erfahrungen des Streetworkers waren alle Anwesenden ergriffen. Die rechte Szene in Friedrichshafen habe sich 2010 aufgelöst. „Seitdem bekannt ist, dass ich für die SPD für den Kreistag kandidiere, haben sich vermehrt Leute aus der damaligen rechten Szene bei mir gemeldet. Die finden meine Kandidatur gut. Das ist eine erstaunliche Entwicklung“, sagte Nägele. So gehören alle Menschen zu unserer Gesellschaft, man solle nicht vergessen, die Leute, die abdriften wieder zu integrieren. Für Nägele zählen zwei Thesen als Leitlinien in seiner Arbeit: „Jeder Mensch mag gemocht werden“ und „Lasst uns wieder anlächeln und begegnen“.