Fraktionserklärung zum Flughafen Friedrichshafen

Veröffentlicht am 19.11.2020 in Aktuelles

Schwerpunkt der Gemeineratssitzung vom 16.11.2020 war einmal mehr die finanzielle Situation des Flughafens. Fast dreieinhalb Stunden lang diskutierten die Räte die strategische Ausrichtung des Flughafens und über das Für und Wider des Finanzierungskonzepts, das von einer Studie der Beratungsgesellschaft Roland Berger empfohlen worden war. Letztendlich einigte man sich darauf, den Empfehlungen der Studie zu folgen, d.h. den Status Quo zu optimieren. Das bedeutet, die Ausrichtung des Flughafens mit seiner Mischung aus Geschäfts- und Tourismusflügen wird beibehalten, aber verbessert, die Stadt Friedrichshafen wird einen zweistelligen Millionenbetrag investieren müssen, um den Fortbestand des Flughafens zu sichern. Die SPD-Räte stimmten für den Vorschlag, Sander Frank, Mitglied der Fraktionsgemeinschaft und Vertreter der Partei Die Linke stimmte dagegen. Die Fraktionserklärung für die SPD hielt Werner Nuber, stellvertretender Fraktionsvorsitzender:

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

liebe Ratskolleginnen und Ratskollegen,

sehr geehrte Damen und Herren,

wenn wir die heutige Abstimmung zu den Beschlussantragspunkten 1 bis 10 auf das Essentielle herunterbrechen, dann geht es letzlich um die eine entscheidende Frage: Ist uns unser Flughafen die nächsten Jahre jährlich rund drei Millionen städtischer Zuschuss für Investitionsmaßnahmen wert oder sollten wir nicht besser die Reißleine ziehen und die über 100- jährige Ära ‚Flughafen in Friedrichshafen‘ beenden.

Das Gutachten von Roland Berger, aber auch die Studie des Forums Ökologische-Soziale Marktwirtschaft (FOES), eine Studie, die vom BUND zu 14 kleineren Flughäfen in Deutschland in Auftrag gegeben wurde, haben uns deutlich gemacht:

1. Der Flughafen ist ein wichtiger Standortfaktor für unsere Wirtschaft und sichert - direkt und indirekt - nachweislich sehr viele Arbeitsplätze. Deshalb auch die klaren und eindeutigen Bekenntnisse des DGB, der IG Metall, von Ver.di und der IHK.

2. Der Flughafen trägt wesentlich zur Wertschöpfung in unserer Region bei. Das Berger-Gutachten geht von einer Bruttowertschöpfung von jährlich über 56 Millionen Euro für die Region Bodensee-Oberschwaben aus.

3. Der Flughafen ermöglicht unserer Region, trotz bundesrepublikanischer Randlage, eine schnelle Anbindung an die TOP 15 Verbindungsflughäfen in Europa und somit an die Welt.

Dieser letzter Punkt war der entscheidende Punkt bei der Studie des Forums Ökologische-Soziale Marktwirtschaft, weshalb der Friedrichshafener Flughafen nicht im Gegensatz zu den meisten anderen Regionalflughafen die rote Karte bekommen hat.

Wenn wir heute ein AUS des Flughafens beschließen würden, dann gingen die überregionalen Anbindungen, die erwähnten Arbeitsplätze und die genannte regionale Wertschöpfung weitgehend verloren.

Zusätzlich würde ein Aus des Flughafens auch das Aus der Messe Friedrichshafen bedeuten. Nicht nur die AERO, nein auch die Leitmessen Eurobike oder Fakuma wären auf kurz oder lang nicht mehr zu halten und damit wäre der gesamte Messestandort mit einer regionalen Wertschöpfung von weiteren rund jährlich 140 Millionen Euro verloren.

Trotzdem bleiben Fragezeichen, was die Zukunft anbelangt.

Was wir alle nicht wissen können, ist, wie sich die Situation rund um den Flughafen in den nächsten Jahren weiter entwickeln wird.

- Wir wissen nicht, ob sich nach Ende der Corona-Pandemie die Fluggastzahlen wieder in etwa auf dem Vor-Pandemie-Niveau einpegeln werden.

- Wir wissen nicht, wie sich das Messe-Geschäft in den nächsten Jahren weiter entwickeln wird und ob das Messegeschäft nicht ganz andere Formen mit anderen, auch infrastrukturellen Bedarfe entwickeln wird.

- Wir wissen auch nicht, welche Auswirkungen die verbesserte Zug-Anbindung durch die Elektrifizierung der Südbahn auf das zukünftige Flugverhalten haben wird.

Weil wir es nicht wissen können, können wir dies aber bei der jetzigen Entscheidung auch nicht einbeziehen. Wir können jetzt nur entscheiden aufgrund der jetzt gegebenen Faktoren. Sollte sich das Umfeld in den kommenden Jahren verändern mit entsprechenden Auswirkungen auf die Flugbedarfe, dann gilt es in fünf, sieben oder zehn Jahren neu zu bewerten, wie viel uns der Flughafen wert sein wird.

Zum jetzigen Zeitpunkt halten wir - damit sind die sechs SPD-Mitglieder der Fraktion SPD/ Linke gemeint - die weitere finanzielle Unterstützung für den Flughafen Friedrichshafen für notwendig und richtig.

Unser geschätzter Fraktionskollege Sander Frank gewichtet, so wie er bereits vorhin mitgeteilt hat, die Argumente anders und er wird im Anschluss an die Abstimmung eine eigene Erklärung abgeben.

Klar ist für uns allerdings auch, ein reines Weiterso wie bisher, kann es nicht geben:

- Wir erwarten von der Wirtschaft, sowohl von den Großbetrieben, als auch von den Mittleren Unternehmen, die gerade in unserer Region oftmals weltweit agieren, den Flughafen auch tatsächlich verstärkt zu nutzen. Die IHK hat auf den enormen Zeitvorteil bei Geschäfts- und Kundenreisen hingewiesen - dann müssen aber auch Taten folgen!

Taten bedeuten, über die stärkere Nutzung des Flughafens durch die Wirtschaft hinaus, auch ein größeres Engagement als Gesellschafter.

- Wir erwarten darüber hinaus von der Geschäftsführung und dem Aufsichtsrat, sich mit neuen Geschäftsideen für die Zukunft aufzustellen. Im Mittelpunkt sollen dabei die Entwicklung von Geschäftsmodelle stehen, die den Veränderungen der Technologien und den Anforderungen nachhaltiger Mobilität gerecht werden.

Noch zwei Anmerkungen zu den Aspekten des Klimaschutzes:

Für uns ist der Klimaschutz eine Herzensangelegenheit, und sogar  noch weit mehr. Die Frage, ob wir zukünftig unser Leben klimaverträglich gestaltet bekommen ist eine der entscheidenden Fragen, bzgl. der Überlebensfähigkeit der Menschheit. Dem sind wir uns umfassend bewusst - wir sehen die Notwendigkeit und die Pflicht, bei jeder zu treffenden Entscheidung, die Klimaverträglichkeit zentral zu berücksichten.

Dies tun wir heute nicht nur bei den folgenden Tagespunkten 4 und 5 zum Klimaschutz und der Klimaanpassung, sondern auch bei dieser Abstimmung.

Denn, würde die Schließung des Flughafens tatsächlich eine Verbesserung der Klimabilanz mit sich bringen? Dies wäre doch nur dann der Fall, wenn die Neuausrichtung des Flughafens in Richtung Erzeugung zusätzlicher Bedarfe ausgelegt wäre. Herr Wehr hat vorhin ausgeführt, dass dies gar nicht angestrebt wird. Ein Konzept mit low cost-Fluglinien, die eine Fluggastzahlsteigerung mit sich bringen würde, wurde mit dem Berger-Gutachten überprüft und eben gerade nicht empfohlen. Ein solches Konzept würden wir ablehnen.

Das empfohlene und vorgelegte Konzept ‘Fortführung und Optimierung Status Quo‘ orientiert sich an der Deckung der vorhandenen Bedarfe.

Sprich, bei Schließung des Friedrichshafener Flughafens würden die Flüge nicht nicht geflogen werden, sondern sie würden anderswo - von München, Stuttgart, Frankfurt, Memmingen oder Zürich aus - geflogen werden, was also ein klimapolitisches Nullsummenspiel wäre.

Bedenkt man, dass die Deckung der vorhandenen Bedarfe, wie eingangs erwähnt, einerseits eine enorme wirtschaftlich Bedeutung für die Region hat, andererseits aber auch soziale Belange im großen Umfang berücksichtigt - ich denke hierbei u.a. an die von Herrn Wehr aufgezeigten Besuchsreisen, immerhin 28% aller in Friedrichshafen getätigten Flüge, die es ermöglichen, dass Menschen, die bei uns leben und arbeiten, eine unkomplizierte Rückbindung in ihre Heimat und zu ihren Verwandten haben, dann ist das aktuelle klimapolitische Nullsummenspiel verantwortbar.

Zum Schluss möchte ich noch unter klimapolitischen Gesichtspunkten doch einen kleinen  Blick in die Zukunft zu werfen wagen, wissend, dass auch bei dieser Frage die Zukunft nicht vorhersehbar ist.

Ich habe vorhin von der Notwendigkeit einer klimaverträglichen Gestaltung unseres Lebens gesprochen - dies als eine zentrale Frage, ob die Menschheit überleben können wird.

Der Hauptbeitrag für das Überleben der Menschheit wird durch technische Innovation geleistet werden müssen!

So wie technische Innovation den Hauptbeitrag dafür geleistet hat, dass heute weltweit gesehen doppelt so viele Menschen im Vergleich zu meiner Kindheit ernährt werden können, so wird auch bei der Erfüllung der Ziele des Pariser Klimaabkommens durch technische Innovation der größte Beitrag geleistet werden müssen. (Bezug zu Franz Josef Radermacher und Ernst Ulrich von Weizsäcker)

Wir sehen ja gerade den entsprechenden Umbruch im Energiesektor und in der Automobilindustrie. Auch die Flugzeugtechnik wird sich diesbezüglich recht schnell weiterentwickeln müssen. Und ich wage anzunehmen, dass in einem absehbarem Zeitkorridor CO2-neutrales Fliegen möglich sein wird. Boing will 2030 ein solches Großraumflugzeug auf den Markt bringen, Airbus wird sich diesbezüglich sicher nicht ausruhen.

Wenn dies dann so sein sollte, dann wäre Fliegen bzgl dem Überwinden größerer Distanzen das klimaverträglichste Verkehrsmittel, auch weil wir keine zusätzlichen Straßen und Schienen hierfür benötigen, lediglich Start- und Landebahnen.

Mit einer unwiderruflichen Schließung des Flughafens in Friedrichshafen würden wir auch die zukünftige Nutzung des möglicherweise dann klimaverträglichsten Verkehrsmittel ausschließen. Das wäre schlicht fatal.

Die Lösung liegt nicht in der Schließung des Flughafens, sondern in der Entwicklung innovativer und zukunftsweisender Technologien, die Ökonomie und Ökologie zusammenführt.

Die SPD-Mitglieder unsere Fraktion tragen auch deshalb, unter Abwägung all der genannten Aspekte, die weitere finazielle Herausforderung als Gesellschafter mit und stimmen allen Punkten des Beschlussantrages zu.

Vielen Dank!